Samstag, 8. April 2017

Die Unfähigkeit allein zu bleiben



Gunnar kam mit Alexa und seinem Sohn gegen halb sechs Uhr am späten Nachmittag bei mir an. Entschuldigte sich nicht. Sagte nichts weiter dazu. Wiegte nur klein Ragnar und schien glücklich dabei zu sein. WAS war los mit ihm?
„Du ich dachte, du kommst heute mit zu Alexa rüber.“, schlug er mir vor, als wäre es das Selbstverständlichste dieser Welt.
Ich war sprachlos. Sagte keinen Ton. Stand nur dort und fixierte ihn.
Aus dem Augenwinkel sah ich ein kurzes Grinsen über Alexas Gesicht huschen. Was mich dann doch noch zu einer Erwiderung motivierte. „Warum gehst du nicht vor, ich komme dann nach.“ Was noch längst nicht bedeuten muss, dass ich meinen Worten Taten folgen lasse. Denn zuvor würde ich Derek anrufen, um ihn zu fragen, ob er Zeit für mich hat.
Auf meine Worte hin, blickte Alexa ein wenig verstört und Gunnar nickte nur, als hätte er nicht wirklich etwas von dem verstanden, was ich sagte. Keine zwei Minuten später waren sie wieder verschwunden und ich rief Derek an. Der allerdings hatte noch keine Zeit und es war eher zweifelhaft, dass er sie am Abend hatte. Er druckste herum. Erzählte mir etwas von seiner Mutter und Laurianne.
„Aber na ja, ich rufe dich noch einmal an.“ Patsch…..war aufgelegt. Ist Derek zum Weichling geworden, seitdem er verheiratet ist?
Im Zorn checkte ich meine Optionen, die mir geblieben waren.
Erstens: Zu Gunnar und Alexa gehen.
Zweitens: Auf Dereks Anruf warten und hoffen, dass er doch noch Zeit für mich findet.
Drittens: Mich vielleicht mit Kevin für den Abend verabreden? Wo seine Janina etwas dagegen haben dürfte. Selbst wenn er es wollte.
Viertes: Mich revidieren und mit Sasha Fliess verabreden. Er würde sich aller Wahrscheinlichkeit Zeit für mich nehmen.
Fünftens: Jason ist wieder im Zentrum. Er wäre gleichermaßen eine Option. Allerdings denke ich hier, es wäre unangebracht, wo er doch so viele eigene Probleme hat.
Sechstens: Charlie. Was mir allerdings derzeit recht aussichtslos erscheint. Ich dränge mich schließlich niemanden auf.
Siebtens: Josh. Wenn ich ihn frage, würde er mir sicherlich gern Gesellschaft leisten. Aber wofür? Alte Romanzen wärmt man erfahrungsgemäß nicht wieder auf!
Und am Ende darüber nachgedacht, entstand all meine Verzweiflung und Kompromissbereitschaft nur aus meiner Unfähigkeit, nicht alleine bleiben zu wollen.

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Allein ging ich zum Restaurant. Trank einen Kaffee und aß ein Croissant. Dann hörte ich mir im kleinen Saal noch das Ende eines Vortrags an. Hatte mich noch längst zu nichts entschieden. Hoffte auf Dereks Anruf, der am Ende zwar kam, jedoch mit keiner positiven Nachricht. Es täte ihm leid. Er könne nicht. Laurianne bestünde darauf, dass er bei ihr bliebe. Zudem arbeite er bis zehn.  (Pantoffelheld!) Was mich dazu brachte nach Peaches, der Fußballspielerin, zu fragen. Sie wisse, dass er nun mit Laurianne verheiratet sei. Würde sich jedoch immer noch mit ihm treffen wollen. Am Sonntag hätte er vor, ein Fußballspiel zu besuchen.
Wird dich Laurianne begleiten?“, fragte ich noch und er verneinte (selbstverständlich).
Und erneut stand die Frage im Raum: Was tun?

Am Ende siegten die Verzweiflung und vor allem die Kompromissbereitschaft. Ich ging zu Alexas Haus und klopfte an.
Gunnar öffnete und war glücklich mich da stehen zu sehen.
„Komm‘ doch rein.“
„Nein.“, schwenkte ich noch im letzten Augenblick noch um. „Ich dachte, du kommst dann endlich zu mir.“ Und in diesem Augenblick dachte ich an Sasha Fliess, bei welchem ich besser zuvor vorbei gegangen wäre. Im Hintergrund weinte das Baby.
„Du, ich dachte ich bleibe vielleicht noch bis Morgen bei Alexa, wenn du nichts dagegen hast. Vielleicht hat Derek Zeit und kann bei dir sein.“, hatte er sogleich eine Lösung parat.
„Ja. Ich werde ihn fragen.“, sagte ich und wandte mich zum Gehen.
„Aber wäre es nicht besser, du kommst herein?“, setzte Gunnar noch einmal nach und hatte offenbar ein schlechtes Gewissen. „Vielleicht könnten wir auch ins Haus rüber gehen. Was meinst du dazu?“
Ich drehte mich noch einmal zu Gunnar um und schüttelte wortlos mit dem Kopf. Danach trat ich allein den Heimweg an. Dachte an Sasha Fliess und nahm die Richtung zu seiner Hütte. Was würde mich dort erwarten? Dachte ich so. Erneut diese Hanna Martenson?
Ich kam mir schäbig vor. In höchstem Maße inkonsequent. Das war nicht mein Stil. Infolgedessen wieder eine Kursänderung. Ich fragte mich unterdessen, wie lange ich hier draußen noch hin und her laufen wolle. Es war bereits dunkel geworden und ich fror.
„Hey Rea!“, hörte ich jemand rufen. „Wolltest du zu mir?“ Es war Sasha Fliess, der mich offenbar gesehen hatte.
Ich wendete erneut und lief auf ihn zu. Hatte nicht das Bedürfnis zurück zu schreien.
Als ich dann vor ihm stand nickte ich ihm zu. „Ja. Eigentlich schon.“
„Dann komm‘ doch rein.“…und ich kam.

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Nun, am Ende blieb ich bei Sasha Fliess, mit der ständigen, laut ausgesprochenen Erinnerung, dass es doch aller Wahrscheinlichkeit nach besser sei, zu gehen.
Wir saßen nebeneinander auf der Couch. Redeten nicht wirklich viel miteinander. Sahen fern. Ich war nur froh, nicht allein zu sein.
„Möchtest du mich nicht lieber nach Hause begleiten?“, fragte ich immer wieder einmal zwischendurch an und Sasha entgegnete gleichwohl stets dasselbe darauf. „Bleib doch noch.“
Nun gut. Ich blieb. Blendete die Gedanken an diese Hanna Martenson aus, die vermutlich noch vor ein, oder zwei Tagen neben Sasha in diesem Bett genächtigt hatte. Gleichgültig! Nun war ich es, die hier neben ihm lag. Basta!
Sasha hatte mich erneut nach Gunnar gefragt. Und meine Antwort war die Gleiche, wie am Tag zuvor. „Er ist bei seiner Mätresse und ihrem Balg.“
„Warst du gestern nicht noch mit Derek zusammen?“, fragte er dann noch und die Frage verärgerte mich. War ich ihm in irgendeine Weise etwas Rechenschaft schuldig? Nein!
Ich nickte daraufhin nur und antwortete einsilbig mit „Ja.“
„Und wo ist er heute?“
Warum hört er nicht auf diese peinlichen Fragen zu stellen. Ich war genervt.
„Ich vermute bei seiner Frau. Schließlich ist er verheiratet.“, erwiderte ich scharf und in einem zynischen Ton. Was Sasha dann letztendlich offenbar verstand. Denn nun war die lästige Fragerei beendet. Ich atmete auf!
Und nein! Es gab keinerlei Intimitäten. Sasha selbst schlug sogar vor, auf der Couch zu schlafen. Denn mir wähnte, sein innigstes Ziel war gewesen, dass ich in jedem Fall bei ihm blieb.
Natürlich konnte ich ihm nicht erlauben in seinem eigenen Haus auf sein Bett zu verzichten. So lagen wir ausschließlich nebeneinander und schliefen bis heute Morgen um zehn. Denn es war gestern Abend doch recht spät geworden.
Dann wieder die Diskussion ob wir jeder für sich, oder doch besser gemeinsam zum Frühstücken gehen. Da es bereits gegen halb elf gewesen war, gingen wir schlussendlich auch dorthin zusammen und speisten an meinem Tisch. Warum auch nicht?
„Vielleicht hätten wir doch nach London fliegen sollen.“, witzelte er.
„Ja. Womöglich doch keine so schlechte Idee.“, erwiderte ich.
„Wir können es noch immer tun.“ Sasha zwinkerte mir zu und lächelte mich zuversichtlich an.
Ich antwortete nicht. Legte nur sichtlich die Stirn in Falten. Aß weiter mein Brot mit Orangenaufstrich und Stücken von erlesenem Käse dazu.
Sasha begleitete mich noch zurück zu meinem Haus und genau genommen offerierte er mir, doch noch einmal, mit ihm in seine Hütte zu gehen. Dies lehnte ich nun doch entschieden ab.
Zum Glück waren wir weder Gunnar noch Derek begegnet. Weder im Restaurant noch auf den Wegen des Zentrums.
Als ich zu Hause angekommen war, ging ich duschen und dann rief ich Gunnar an, der sich bis zu diesem Zeitpunkt noch immer nicht bei mir gemeldet hatte.
„Oh!“, er tat überrascht. „Verzeih. Ich bin dann gleich bei dir drüben.“, sprach es und legte auf.
Ich war ziemlich verärgert, als er kam. Schmollte ein wenig.
Gunnar kam von hinten an mich heran. Legte seine Arme um meinen Körper und küsste mich. „Nicht böse sein. Alles ist in bester Ordnung.“
Ja! In der Tat! Das glaube ich dir gern! Hätte ich am aller liebsten zu ihm gesagt. Lies es aber dann. (….und versuchte, mich zu beruhigen.) Was hätte es denn genutzt, weiterhin zu schmollen. Damit hätte ich mir nur selbst geschadet. Und ich erinnerte mich einen kurzen Augenblick an Sasha Fliess, der mich während meines Abschiedes von ihm, mit Hoffnung in den Augen fragte: „Kann ich nun darauf hoffen, dass wir uns womöglich jetzt ein wenig öfter sehen?“
Ich musste lächeln, ob der Vehemenz, mit welcher er mir immer wieder zu verstehen gab, dass es ihm gefiele, mein Lover oder sogar noch mehr zu sein. Und mein Lächeln verstand Sasha dann offenbar als eine Zustimmung, was ich in seinen Augen sah und in seinem Herzen. Am Abend zuvor hatte ich bereits so Vieles in Sashas Kopf gesehen. Gedanken daran, mich irgendwohin zu entführen, damit er mich besitzen kann und auch an Hanna Martenson, die er wohl nur an seiner Seite duldete, weil sie mir ähnlich sah. Am aller liebsten wäre er mit mir zusammen. So die Gedankenfetzen, welche ich wahrgenommen hatte in Sashas Kopf. Einiges war doch ziemlich verworren. Da waren gleichwohl Gedanken an Nötigung und Gewalt, die jedoch in der Unterzahl waren. In jedem Fall schien da ein Ziel privater Natur vorzuliegen und keine politische Motivation. Aber möglicherweise wurden diese von dem unstillbarem Verlangen mich zu besitzen, auch nur überlagert. War er wirklich eine Art Agend oder eingeschleuster Schläfer, war er gut in seinem Job. Denn bisher ist ihm nichts nachzuweisen. Weder physisch noch psychisch, oder energetisch. Nur Vermutungen und einige kleine Ungereimtheiten gibt es da. Nicht mehr….bisher.

Da nun Gunnar wieder anwesend war, nach zwei Tagen und zwei Nächten, in denen er mich zugunsten seiner Hure und seines Balgs allein gelassen hatte, fand ich es besser, mich wieder gut auf ihn einzustellen. Ich wusste, ich konnte das….noch immer gut.
Mag sein, dass es mir, wie stets, zu Beginn schwer gefallen ist. Aber so nah und nach, mit den vielen Zärtlichkeiten, die Gunnar mir entgegen brachte, lief alles wieder in die gewohnten Bahnen.
Und womöglich hatte er genau darauf gewartet, um mir seine und Alexas Reisepläne zu offerieren.
„Dachtest du nicht daran zu verreisen? Ich sprach mit Alexa und wir (WIR?!!! Sagte er!!! WIR!) fänden es schön, gemeinsam nach Kalifornien zu Alexas Eltern und dann nach Hawaii zu fliegen. Was hältst du davon?“
„Dasselbe wie noch vor einige Tagen. NICHTS!“, wurde ich patzig und ich fand, ich hatte jedes Recht dazu, ob dieser Dreistigkeit! Was dachte er sich nur dabei. Es war ihm doch sicher bewusst, dass ich genau das eben nicht haben wollte!

Götter noch eins!!! War nicht noch vor Tagen mit Gunnar und mir alles so toll gewesen? Warum enttäuscht er mich immer wieder so derart schlimm? Und jedes Mal hat es mit anderen Frauen zu tun. Im Augenblick speziell und vor allem mit dieser Alexa. Diese Frau muss eindeutig aus unserem Leben verschwinden!
„Wann gedachtet ihr denn zu reisen?“, fragte ich zwar mit ruhiger Stimme, jedoch mit Wut im Bauch.
„Wann immer es dir danach wäre. Denn ich dachte auch daran, wenn wir schon einmal in Amerika sind, Marie und die Kinder zu besuchen.“
Ich hätte schreien können! Eine Reise a la carte für meinen Ehemann, die jedoch nichts mit mir zu tun hatte! Sollte ich diesbezüglich vielleicht doch darüber nachdenken, mit Sasha Fliess eine Reise zu tun?  So wie er es vorgeschlagen hatte. Denn mit Derek war ebenso nicht zu rechnen. Seine Verpflichtungen nahmen stetig zu, welche er um meinetwillen nicht vernachlässigen konnte.
Andererseits war Sasha Fliess nicht wirklich mein Typ, was dagegen sprach. Nicht, dass ich ihn nicht mochte. Er ist verhältnismäßig hübsch anzusehen. Groß, mit eins neunzig und muskulös. Die Züge seines Gesichts sind sehr fein. (Jedoch erkennt man den Juden darin.) Er besitzt zweifellos ein durchaus attraktives Äußeres, dass so manches Frauenherz zum Schmelzen bringen mag. Nur meines nicht. Tut mir leid.
Aber da wäre schließlich immer noch Jason. Die Kinder in Hawaii bei seiner Familie. Die Frau in der Psychiatrie. Er wäre ein lohnendes Ziel. Sicherlich in keinster Weise aufdringlich oder bedrängend. Das war er nie. Auch er suchte nur die vereinzelten Gelegenheiten. Nie etwas Festes. Ich hatte stets den Eindruck, dass er sich nie von seiner Frau trennen wird. Und ist es nicht genau das, was ich benötige? Nur bisher nicht in Anspruch nahm. Denn seine Frau….ist tödlich….in ihrer verwirrten und krankhaft eifersüchtigen Natur.

Alles in allem, steht alles wieder offen……………und ich weiß nicht, was ich tun soll.