Sonntag, 15. Oktober 2017

Der Sieg der Vernunft



Es soll die kommende Woche noch einmal wärmer und sonnig werden. Womöglich bleiben wir doch noch eine Weile länger hier als geplant. Vergangene Nacht waren es gerade einmal Null, oder sogar geringe Minusgrade gewesen, dachte ich gestern noch so, bevor etwas Einschneidendes und völlig Überraschendes geschah.
Nach unserem gemeinsamen Frühstück war Gunnar gerade mit Adam, seinem Onkel Leo, Michael, Ryan und Robert aufgebrochen, um Angeln zu gehen und als hätte er genau das Weggehen der Männer abgewartet, stand mit einem Mal Sasha in der Tür. So überraschend, dass ich das Handtuch fallen ließ, welches ich gerade noch in der Hand gehalten hatte. Ich stand da wie angewurzelt und starrte. Der Atem war mir kurzzeitig gestockt. Dann pustete ich, versuchte zu lächeln und sah ihn mit großen, weit geöffneten Augen an.
„Was tust DU denn hier?“, fragte ich ihn.
Sasha lächelte mich an. „Du willst nicht mit mir reden? Da dachte ich, ich komme einfach zu dir.“
„Woher wusstest du…..?“, begann ich die Frage zu formulieren und mit Sashas Mimik beantwortete sich die Frage selbst. Er hatte natürlich seine „Quellen“. Für IHN scheint förmlich alles möglich zu sein.
Sasha kam auf mich zu. Umarmte und küsste mich. Ich war nicht in der Lage mich dagegen zu wehren. Denn da waren noch immer Gefühle für ihn, die in mir emporschossen wie in ein Vulkan, als er mich berührte.
Agnes, Adams Tante, hatte offenbar bemerkt, dass jemand gekommen war. Stand nun in der Tür und räusperte sich.
Sasha ließ mich los. Er drehte sich um und wir beiden sahen zu ihr hin.
Ich ergriff sogleich die Initiative. „Du kennst Sasha sicherlich noch?“, fragte ich mit Unschuld in der Stimme, als wäre nichts weiter geschehen.
Sie nickte. „Ja.“ Und womöglich war es sogar vorteilhaft, dass sie letztendlich im Zimmer blieb und sich mit irgendetwas beschäftigte. Sonst hätte mich Sasha förmlich überrollt, so euphorisch wie er war. Seine Liebe zu mir scheint nicht abgekühlt zu sein. Ganz im Gegenteil. Sie hat sich offensichtlich noch potenziert.
Wir redeten miteinander und immer wieder versicherte er mir, dass er weiter um mich kämpfen wird und ich am Ende ihm gehören würde.
„Komm‘ lass‘ uns nach draußen gehen.“, sagte er und versuchte meine Hand zu greifen.
Ich tat einen Schritt zurück. War misstrauisch gewesen. „Wer sagt mir, dass du mich nicht einfach in dein Auto zerrst?“
Er lachte. „Ja. In der Tat. Eine gute Idee. Das könnte ich tun und vielleicht würde ich es auch. Aber, kommst du freiwillig mit mir nach draußen, dann lasse ich dich auch wieder gehen.“
WAS war DAS denn für eine Antwort??? Wie hatte ich DAS zu verstehen.
Dann wurde er milder. Bettelte sogar. „Komm doch mit. Wir gehen raus zu meinem Wagen. Dort können wir ungestörter reden.“  Und wieder kam er näher zu mir hin und hauchte mir ins Ohr. „Ich würde so gerne mit dir schlafen.“ Seine Hand fuhr über meinen Po.
Pfffffhhhhhhh……..Das rief zwiespältige Gefühle in mir wach. Zum einen hätte ich schon gern……gewollt. Zum anderen dachte ich an die Schmerzen UND vor allen an Gunnar (!). Gerade JETZT wo keine Andere zwischen uns stand, wo wir neu begonnen hatten, sollte ausgerechnet ICH ihm untreu werden??? NEIN! Niemals!!!
„Du hättest doch sicher Lust darauf. Oder sehe ich das falsch in deinen Augen?“ Sasha sah mich an und schmunzelte.
Und dann ist mir Claire eingefallen. „Du hast mit Claire geschlafen.“, warf ich ihm vor, was natürlich in keinster Weise ernst zu nehmen war.
Er lachte. „Und du mit deinem Mann.“
„Aber ICH bin verheiratet mit ihm!“, verteidigte ich mich und dann begann eine kurze Diskussion um diese Frau, in welcher er mir erklärte, was sie für ihn noch bedeutet.
In jedem Fall beabsichtigt Sasha um mich zu kämpfen bis zum Ende. Und er ist sich sicher, dass er mich am letzten Endes doch bekommt.
Claire wäre, im Augenblick, ähnlich wie Hanna Martensson, eher eine Bettmatratze, auf der er schlafen kann, wenn es ihm beliebt. Oder wenn meinetwegen frustriert sei. Dann doch lieber mit ihr als allein, hatte er angemerkt.
„Mag sein, dass sie mir früher einmal etwas bedeutet hat, zugegeben, sie war und ist immer noch eine schöne Frau, aber seit ich dich gesehen und dann kennengelernt habe, war sie für mich uninteressant.“
„Du solltest sie heiraten. Sie passt gut zu dir und träumt von einem Leben mit dir zusammen.“
Sasha antwortete nicht darauf. Stattdessen startete er einen neuen Versuch, mich aus dem Haus zu locken, auf welchen ich selbstverständlich NICHT eingegangen bin.
Nach ewigem hin und her, Streicheln, Berührungen und weiteren Küssen, denen ich mich willig hingegeben hatte, gab er schließlich auf. Denn ich ließ keinen Zweifel daran, dass ich Gunnar über alles liebe und es mitnichten meine Absicht sei, ihn zu betrügen.
Dann stellte er mir eine letzte Frage. „Gäbe es Gunnar nicht, kämst du dann mit mir?“
Ich überlegte kurz und nickte dann. Weil es der Wahrheit entsprach, und das nicht NUR in diesem Augenblick.
Als Sasha gegangen war, dachte ich darüber nach, wie es möglich war, dass ich noch immer etwas für ihn empfand. Als er mich berührte und küsste, war ich kurz davor nachzugeben und mit ihm raus zu seinem Wagen zu gehen.
Die Vernunft hat gesiegt.

Als Gunnar am Abend kam und ich ihm erzählte, was geschehen war, war er außer sich vor Sorge. Er umarmte mich und hielt mich fest. „Ich bleibe bei dir. Gehe nicht wieder fort. Lass dich keine Minute mehr aus den Augen.“, sprach es und drückt mich noch fester an seinen Körper, was mich ein erleichterndes „ahhhh“ ausatmen ließ.
„Der Mann ist nicht fähig einzusehen, wenn er verloren hat. Der geht aufs Ganze und kann es offensichtlich auch. Mit all seinem Geld und den Verbindungen seiner Familie.“ Gunnar hatte mich losgelassen und ging nun aufgeregt vor mir hin und her. Hatte einer Denkerpose angenommen, mit dem ausgestreckten Zeigefinger kratzte er sich den Kopf. „Er wird tatsächlich nicht aufgeben. Hat keinerlei Achtung vor einem fairen Kampf, wie man ihn pflegt unter Männer auszutragen, geht es um eine Frau. Ich meine, da gab es Troels, Ian und Derek. Sie haben alle fair gekämpft und ich wusste, dass mir keiner gefährlich werden kann. Aber dieser Kerl, ist der Ausbund an Hinterhältigkeit.“
„Er hätte mich genauso gut schon heute in sein Auto zerren können.“; merkte ich an und verteidigte Sasha sogar noch unwissentlich damit.
„Er spielt. Liebt es seine Macht zu demonstrieren. Wie eine Katze, die genau weiß, dass sie der Maus in jedem Augenblick den Todesbiss zufügen kann.“
„Ist es nicht genau DAS, was Männer mögen? Die Jagd.“
Gunnar lächelte betreten. „Ja. Aber ICH würde niemals unfair kämpfen.“
„Was hat er bisher so Unfaires getan?“ Diese Frage hätte ich nicht stellen dürfen.
„Dich unter Drogen gesetzt und entführt. Dich verhexen lassen. Dich beeinflusst und gegen mich aufgewiegelt. Mit dir gelebt, als hätte er dich bereits in seinem Besitz. Der Mann ist gefährlich. Wir müssen vorsichtig sein.“ Zum Glück war Gunnar so aufgeregt, dass er es offenbar nicht einmal bemerkte, dass ich kurzzeitig sogar Position für Sasha bezog. Oder zumindest um Verständnis für ihn heischte.
„Du hast Recht.“, sagte ich schließlich zu Gunnar und meinte es genauso. Ich krallte mich an ihm fest. Hatte meinen Kopf an seine Brust gelehnt.  
„Hat er dich berührt? Geküsst?“, fragte Gunnar mit einem Mal und ich vermag nun einmal nicht zu lügen.
„Ja und ich ließ es zu. Gedachte nicht, ihn zu verärgern. Es war niemand weiter dagewesen außer Agnes. WER hätte mir helfen sollen, hätte er mich schlussendlich doch noch in seinen Wagen gezerrt?“, rechtfertigte ich mich. „Es war einfach nur eine Strategie, um ihn nicht zu provozieren und ihn guter Stimmung zu halten. Und ich hatte Glück. Letztendlich ist er doch gegangen. Ich hatte es ihm deutlichst gesagt, dass ich nicht mit ihm gehen will. Nicht einmal zu seinem Wagen und auch zukünftig nicht. Ich hatte ihm unmissverständliche Worte gegeben, das ich dich liebe, Gunnar, und niemals mehr verlassen werde.“ Das alles, was ich Gunnar nun zu meiner Verteidigung gegenüber brachte, entsprach der absoluten Wahrheit. Ich log keineswegs. Das könnte ich nicht! Und er wusste das.


Wir diskutierten noch lange über das Geschehen. Insbesondere Gunnar machte sich Sorgen und meinte, es wäre wohl besser bei mir zu bleiben, anstatt mit den anderen am nächsten Tag erneut in den Wald zu gehen.
„Wollen wir noch bleiben? Oder fliegen wir nun doch woandershin?“, fragte ich meinen Mann.
Der wiegte seinen Kopf hin und her. Zog die Brauen hoch. „Er weiß, dass wir hier sind und kann jeden Moment erneut hier erscheinen. Was bedeutet, dass ich dich besser keinen Augenblick mehr aus den Augen verlieren darf.“
Letztendlich entschlossen wir uns, doch noch einige Tage zu bleiben.
„Und was ist unser nächstes Ziel?“, fragte ich Gunnar schlussendlich.
„South Dakota.“, antwortete er mir mit einem traurig, versonnenen Blick.
„Und du meinst, das ist klug?“, fragte ich ihn.
„Magst du nicht bei Mary und Rodney sein?“
„Doch schon. Ich dachte nur an dich dabei. Brächte es nicht schmerzliche Erinnerungen zurück?“
„Dann nach New Orleans vielleicht?“
New Orleans ist für mich nicht mehr DAS, was es einst gewesen war. Durch Gunnars Kinder dort, verlor dieser Ort für mich seinen Reiz.
Gunnar sah mir mein Unbehagen an und stutzte. „Nach Kalifornien willst du sicher nicht.“
„Nein.“, entgegnete ich rasch.
„Was dann? Hawaii?“
„DAS wäre mir recht.“
„Oder fliegen wir besser wieder nach Hause, jetzt wo dieser Jude offenbar zu einem Schlag gegen uns ausholen wird.“
Ich dachte kurz nach. „Ja. Vielleicht hast du sogar Recht. Wir bleiben noch ein paar Tage hier bei Adam und dann geht es zurück nach Schweden.“
„Kevin wird erleichtert sein.“, versuchte Gunnar noch zu witzeln und mich aufzuheitern. Jedoch bemerkte ich, wie angespannt er war. Aber dann wurde er ernster. „Da hast du dir eine Laus in den Pelz gesetzt.“
„Ja. In der Tat. Ich hätte ihn damals nicht erst einstellen sollen.“, war mein abschließender Kommentar dazu.


Heute Morgen hielt es Gunnar nicht mehr…..aus. Er rief Sasha von meinem iPhone aus an und am Ende war er noch niedergeschlagen als zuvor. So hatte ich ihn noch nie gesehen. Er sorgte sich um uns und hat aller Wahrscheinlichkeit nach jeglichen Grund, dies zu tun.